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Natascha Lehmann, Lehrerin aus Tomsk, Sibirien

Aufgeregte Studenten und verblasste Holzhäuser

Die studierte Lehrerin Natascha Samyslowa arbeitete lange Zeit als Reiseführerin in Tomsk, Sibirien.

Natascha Lehmann, geborene Samyslowa, ist in einem Dorf in Sibirien geboren, in dem die Holzhäuser grün und blau gestrichen sind und der Frühling sich mit hellbraunen Rinnsälen entlang der Schneefelder ankündigt.

Ihr Dorf Morjakowka liegt rund 40 Kilometer von Tomsk entfernt. Für russische Größenverhältnisse liegt Tomsk vor ihrer Haustür. „Als Kind sind wir am Wochenende oft in die Stadt gefahren“, erzählt Natascha Lehmann, „wir sind durch die Straßen spaziert und haben das Leben in der Stadt eingeatmet.“

Die prächtigen Holzhäuser im Zentrum, die aufgeregten Studenten in den Straßen und die Menschenschlangen vor Metzgereien, sind Bilder aus Jahren, in denen die Sowjetunion langsam ihre politische und wirtschaftliche Kraft verlor und die neue Zeit der Öffnung an Bedeutung gewann. „Ich bin froh, die Perestroika erlebt zu haben“, sagt die 33Jährige.

Sie studierte damals an der Pädagogischen Hochschule Tomsk, schloss den langen Weg zum Lehramt erfolgreich ab – mit dem Sprachdiplom in Deutsch.

Sie hätte nach Deutschland auswandern, der neu gewonnenen Sprache und Europa entgegenreisen können, wie viele andere um sie herum es taten. Ihr Vater sagte: „Nirgends fließt Milch und Honig.“ Sie blieb, sie wollte alles lassen, wie es ist. So sah sie weiterhin die riesige Lenin-Statue zwischen zwei Kirchen stehen, blickte auf Skulpturen vom Weißkohl vor den Entbindungshäusern, aus denen sich, so die Sage, die Babys herausschälen, und sie erlebte im Sommer, dass warmes Wasser nur in einzelnen Stadtvierteln floss – und die Holzfassaden weiter zerfielen.

Als immer mehr fremde Busse durch die Stadt rollten und Fremde nach ortskundigen Führungen verlangten, wechselte sie zum Tourismus und zeigte Besuchern die Studentenstadt an der Tom, die kleinen Dörfer im Umkreis und ihr Sibirien mit Altaigebirge und Baikalsee.

Bei einer ihrer Touren lernte sie ihren heutigen Mann kennen. „Er sagte, er komme aus einer kleinen Stadt in Deutschland. Ich antwortete: Ich aus einer kleinen in Sibirien“, schmunzelt Natascha Lehmann.
Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in der kleinen Stadt Heidenheim. Sie betreut im Moment Schulkinder und ehrenamtlich einen Deutschkurs, an dem vor allem russischsprachige Frauen teilnehmen. Ihre Lehrerausbildung wird in Deutschland nicht akzeptiert.

Natascha Lehmann mag Deutschland – nur manchmal, da fehlen ihr, neben der Kälte und Weite Sibiriens, die breiten Straßen der Heimat und die Menschen mit der russischen Seele: „Menschen, die spontan, laut und immer ein bisschen melancholisch sind.“